
O tempora, o mores!
Der klagende Ausruf, den Cicero bei mehreren Gelegenheiten anbrachte, mag ihm aus dem Herzen gekommen sein, doch was würde er wohl zu den Sitten der heutigen Zeit sagen? Vermutlich würde der große Rhetoriker stärkere Worte finden, könnte aber mit ihnen wohl kaum etwas ausrichten. Worte, mögen sie auch noch so eindrücklich sein, sind leider wenig geeignet, dem Wüterich im Kreml Einhalt zu gebieten.
Der Krieg ist, wie wir wissen, nicht die einzige Krise, die uns beschäftigt. Alle aufzuzählen, erspare ich mir. Doch plötzlich stellt sich die Frage, welche Lebensweise wir wie fortsetzen können, ohne an unserem schlechten Gewissen zu verzweifeln. Können wir das mörderische Töten des Krieges ausblenden und uns dem Schönen hingeben? Können wir einfach weiter zu unserem Vergnügen in der Gegend herumfahren und unseren Teil zur Treibhausgasbilanz beitragen?
Immerhin finden wir zur zweiten Frage eine Antwort, die unser Gewissen einigermaßen beruhigen kann, Diese Studie sagt uns, dass unsere Reiseform zu den eher klimaschonenden gehört. Wem die 56 Seiten der Studie zu lang sind, der kann des ganze hier auf einer Seite zusammengefasst finden. Es gibt natürlich noch eine unschlagbar bessere Variante: Nicht bewegen, die Wohnung nicht verlassen! Das ist nicht unsere Sache – noch nicht.
Also schlagen wir uns die trüben Gedanken aus dem Kopf und machen uns auf den Weg. Unser ursprünglich geplantes Ziel war Mittelfranken. Die Gegend um Dinkelsbühl hatte es uns angetan. Dem diesjährigen April-Wintereinbruch wollen wir jedoch nicht folgen und so disponieren wir um und fahren in die Südsteiermark, wo die Temperaturen laut Wetter-App 10 bis 15 Grad über denen von Mittelfranken liegen sollen. Also nicht nach Norden sondern nach Süden verläuft die erste Fahrt 2022 durch das winterlich verschneite Österreich, bis bei Graz die Schneegrenze immer höher wird und die Temperaturen sich stabil über dem Gefrierpunkt und schließlich um die 10 °C einpendeln. Unser Ziel ist Mureck ganz im Süden an der slowenischen Grenze.
Hier gibt es einen Stellplatz, den wir fast allein besiedeln:
Vorsaison auf dem Stellplatz Mureck
Der nächste Tag (Montag) ist einer Wanderung zum Schloss Mureck, welches sich auf der slowenischen Seite der Mur befindet, gewidmet. Das Schloss, dessen Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht, hat die Zeit des Kommunismus noch nicht ganz verdaut. Man hat hier eine Nervenheilanstalt untergebracht und dabei die Substanz des Gebäudes bis zu einem Zustand aufgebraucht, der nur als beklagenswert zu bezeichnen ist.
Das Städtchen Mureck, das wir im Anschluss besichtigen ist ein verschlafenes Nest, von den vielen Gaststätten ist keine geöffnet, auch nicht der Buschenschank, der allenthalben empfohlen wird. Es ist Vorsaison. Nur eine Pizzeria hat ein Abendbrot für uns.
Die Temperatur entspricht tatsächlich der Vorhersage, es ist trocken und die Sonne lugt von Zeit zu Zeit durch den Wolkenschleier. Auch am Dienstag sieht es sehr gut aus, vormittags ist noch recht kalt, aber warm genug angezogen, können wir mit dem Fahrrad zum Murturm fahren. Der futuristische Turm in Form einer Doppelhelix ist die Fahrt durchaus wert, man hat von seiner Aussichtsplattform einen schönen Blick über die Mur und die Auenlandschaft an ihren Ufern.
Eine Attraktion ist die Schiffsmühle auf der Mur, eine der letzten noch funktionierenden Getreidemühlen auf einem Schiff. Im Mühlenhof gönnen wir uns eine leckere Forelle, die wir im Freien essen, so schön warm ist es geworden.
2 Kommentare zu “O tempora, o mores!”
Schön, dass ihr wieder unterwegs seid — gute Reise! Der Murturm sieht interessant und besuchenswert aus — ob er auch die 1,3 Mio. Baukosten wert ist könnt ihr sicherlich besser einschätzen, als ich von der Ferne.
Wenn allerdings archirektonische Bauten an der Mur, dann fällt mir dazu noch die Muhrinsel in Graz ein (besonders in der Abendstimmung): https://de.wikipedia.org/wiki/Grazer_Murinsel vielleicht lag/liegt das ja noch auf eurem Weg.
Hallo Karsten,
die 1,3 Mio sind doch heutzutage nur noch Peanuts. Wir haben keine Ahnung, wie es in der Saison aussieht, als wir auf dem Turm waren, haben wir keine Menschenseele gesehen. Insofern sind Zweifel durchaus angebracht.
Die Murinsel in Graz kennen wir schon. Vermutlich lassen wir die Stadt außen vor und bleiben im langsam sich entwickelnden Grünen.